Juli: Exklusivinterview mit Familienministerin Claudia Plakolm
Was bedeutet für Sie Familie und wie erleben Sie Familie?
Familie ist für mich dort, wo Generationen füreinander sorgen. Bei uns haben drei Generationen unter einem Dach gelebt – vier Kinder und eine Oma, die daheim gepflegt wurde. Politisch ist mein Leitbild die Familie mit Vater, Mutter und Kindern. Weil wir als Politik ein Interesse daran haben, dass es nachkommende Generationen gibt – Stichwort demografische Entwicklung. Familie kann aber in unterschiedlichsten Konstellationen stattfinden. Familie bedeutet für mich, dass wir den Menschen nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben. Wo Menschen füreinander sorgen, müssen wir sie unterstützen so gut es geht.
Sie haben das Gymnasium der Kreuzschwestern in Linz besucht. Deren Motto lautet: „Lernen heißt auch Herzensbildung“. Woran haben Sie das gemerkt?
Ich hatte irrsinnig engagierte Lehrerinnen und Lehrer an meiner Schule. Es war bei uns immer Thema, dass Schule nicht nur Vermittlung von Wissen bedeutet, sondern viel mehr darüber hinaus. Meine damalige Klassenvorständin ist ein Grund, dass ich mich politisch engagiert habe. Sie hat an uns als Klasse appelliert, es soll doch jemand von uns für die Schülervertretung kandidieren. Das habe ich dann auch gemacht.
Familien sind und bleiben zentral für eine funktionierende, zukunftsfähige Gesellschaft, heißt es im Regierungsprogramm. Gleichzeitig werden aber Familienbeihilfe, Kinderabsetzbetrag, Schulstartgeld und Kinderbetreuungsgeld in den nächsten zwei Jahren nicht erhöht. Ist das nicht ein Widerspruch?
Zur Unterstützung der Familien bekennen wir uns nicht nur im Regierungsprogramm, sondern auch mit unseren Maßnahmen. Wir müssen in den nächsten zwei Jahren in allen Bereichen einsparen. Ich bin aber froh, dass wir trotz des großen Spardrucks alle Familienleistungen beibehalten können. Sie haben ja selbst einige aufgezählt. Den Familienbonus mit 2.000 Euro pro Kind möchte ich hier auch noch ergänzen. Familien bekommen ab 1.1.2026 genau die gleichen Leistungen ausbezahlt wie am 1.1.2025. Das war mir in den Verhandlungen wichtig.
Die Petition: Kürzungen für Familien – nicht mit uns! haben mehr als 16.000 Menschen unterschrieben. Was ist Ihre Botschaft an diese Menschen?
Ich verstehe, dass es hier einen Unmut gibt und kann das nachvollziehen. Österreich ist ein Land, in dem Familien bisher und auch in Zukunft ordentlich unterstützt werden. Wir sind Europameister bei den Familienleistungen. 1980 hat der Staat noch 2,5 Milliarden Euro für Familien ausgegeben, heute sind es über 12,5 Milliarden Euro.
Die Mehrwertsteuer auf Damenhygieneartikel und Verhütungsmittel wird abgeschafft. Warum nicht auch auf Babywindeln?
Ich kenne diese Forderung des Familienverbands, sie ist im Gegensatz zu den anderen beiden nicht Teil des Regierungsprogramms. Österreich unterstützt Familien mit vielen anderen Leistungen.
Familienarbeit wird nach wie vor nicht als Arbeit gesehen. Wie kann Familienarbeit sichtbarer gemacht werden?
Das stimmt, das ist nach wie vor ein großes Thema. Ich werde auf diese Arbeit, die in den Familien geleistet wird, aufmerksam machen. Egal ob es um die Unterstützung bei den Hausaufgaben geht, das Hin- und Heimbringen vom Sportverein oder einfach darum, dass der Kühlschrank nicht leer ist – es fallen extrem viele Aufgaben rund ums Familienleben an.
Wird Carearbeit aus Ihrer Sicht ausreichend wertgeschätzt und abgegolten?
Wir haben definitiv noch Luft nach oben. Gerade bei der Betreuung und Pflege von Angehörigen wird unglaublich viel geleistet. Oft sind es die Frauen, die hier die Aufgaben übernehmen. Mein Ziel ist es, dass wir mehr Männer für den haupt- oder ehrenamtlichen Sozialbereich begeistern. Dann ist es für sie auch selbstverständlich, dass sie in der Care-Arbeit mehr mitanpacken. Der Zivildienst ist hier unser Headhunter, um junge Männer dafür zu begeistern.
Was braucht es, dass Familie und Beruf vereinbar sind?
Neben dem Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen sind auch vor allem Unternehmen wichtig, die genügend Flexibilität und Verständnis mitbringen. Wichtig ist zum Beispiel, dass es flexible Arbeitszeitmodelle gibt, wo es möglich ist. Ich habe kürzlich an einer Diskussion zu dem Thema teilgenommen. Ein großer Arbeitgeber hat über 300 verschiedene Modelle für eine flexiblere Beschäftigung. Niemand will das Gefühl vermittelt bekommen, eine schlechte Mitarbeiterin und Mitarbeiter oder umgekehrt eine schlechte Mutter bzw. ein schlechter Vater zu sein.
Was bedeutet für Sie Wahlfreiheit?
Echte Wahlfreiheit bedeutet für mich, dass wir den Menschen nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben. Jede Familie weiß selbst, was für sie am besten ist. Wenn sich Eltern dazu entscheiden, länger beim Kind zu bleiben, ist das genauso in Ordnung wie die Entscheidung, wieder rasch ins Berufsleben einzusteigen.
Wann würden Sie von partnerschaftlicher Aufteilung der Familienarbeit sprechen?
Ich wiederhole mich da, aber das kann jede Familie für sich am besten entscheiden und einschätzen. Wichtig ist, dass es aus Sicht der jeweiligen Familie als partnerschaftlich aufgeteilt wahrgenommen wird.
An welchen Stellschrauben muss gedreht werden, um die Väterbeteiligung zu steigern?
Immer mehr Papas wollen schon jetzt von Anfang an dabei sein – beim Wickeln, Vorlesen und Großwerden. Wir unterstützen das ganz bewusst. Mit den Leistungen während des Papamonats und mit dem Kinderbetreuungsgeld in der Karenz. Aber wir wollen bei der Väterbeteiligung noch besser werden und darauf haben wir uns auch im Regierungsprogramm verständigt. Wir erarbeiten Maßnahmen, die es leichter machen sollen, dass Mamas und Papas sich die Kinderbetreuung aufteilen können.
Teilzeitarbeit soll zurückgedrängt werden. Sie ist aber für Eltern von kleinen Kindern und pflegende Angehörigen ein zentrales Vereinbarkeitsinstrument. Wie können Familien in der Teilzeitdebatte gestärkt werden?
In den letzten Jahren haben sich immer mehr Menschen auch ganz ohne Betreuungspflichten dazu entschieden, lieber Teilzeit statt Vollzeit zu arbeiten. Das wollen wir ändern. In der Debatte ist es nie um Menschen mit Betreuungspflichten gegangen. Wir haben da eine klare Haltung, dass es diese Flexibilität braucht, wenn man neben dem Beruf für andere Menschen sorgt.
Die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau beträgt 1,31 Kinder. Das ist ein neuer Tiefstand. Beunruhigt Sie das? Wie kann die Familienpolitik da gegensteuern?
In meinem Umfeld sind das schon oft stundenlange Gespräche gewesen. Da kann man wohl ein eigenes Magazin dazu herausgeben. Der Wohlstand, in dem wir in Österreich leben, führt dazu, dass sich die Kinderfrage jeder zigfach durch den Kopf gehen lässt. Dabei vergisst man oft, dass es diesen Wohlstand nur gibt, weil Eltern und Großeltern reichlich Kinder in die Welt gesetzt haben, die auch gearbeitet und ins System eingezahlt haben. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Wir sehen, dass Eltern unter großem sozialem Druck stehen. Niemand will eine Rabenmutter oder ein Rabenvater sein. Paaren muss man wieder Mut machen, um Kinder zu bekommen. Diese Debatten müssen wir wieder offener führen. Die Gesellschaft wird immer älter, wir brauchen auch Nachwuchs, der sich um die Älteren kümmert. Unsere Firmen brauchen natürlich auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Der Familienlastenausgleichsfonds ist zentrales Finanzierungsinstrument für Familienleistungen. Bleibt das so?
Den Familienlastenausgleichsfonds gibt es seit 1968. Viele Familienleistungen werden aus dem Fonds finanziert. Die Familienleistungen sind jedenfalls abgesichert.
Stichwort Kindergrundsicherung: Die Zuständigkeit dafür liegt beim Sozialministerium. Wo liegt Ihr Focus als Familienministerin bei der Kindergrundsicherung?
Bei der ganzen Debatte rund um alle Sozialleistungen ist es mir wichtig, dass es wieder einen spürbaren Unterschied geben muss, ob eine Familie ihr Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit oder aus eine Sozialleistung bezieht. Arbeiten muss sich auszahlen, alles andere kann niemand nachvollziehen.
95,3 Prozent der Vierjährigen besuchen jetzt schon einen Kindergarten. Bei den 5-Jährigen sind es zwei Prozent mehr. Was versprechen Sie sich von einem zweiten verpflichtenden Kindergartenjahr?
Als Integrationsministerin ist es mir wichtig, dass die Kinder so schnell wie möglich Deutsch lernen. Das ist im Kindergarten besser möglich als zuhause. Das zeigen uns auch die Zahlen. Zwei von drei Asylberechtigten sind Analphabeten.
Profitieren davon nicht primär Länder und Gemeinden, weil der Bund dann die Kosten übernimmt?
Bund, Länder und Gemeinden tragen gemeinsam dazu bei, dass es ein gutes Kinderbetreuungsangebot gibt. Wichtig ist, dass die Familien von dem Angebot profitieren.
Was muss in fünf Jahren passiert sein, damit Sie von einem familienpolitischen Erfolg sprechen können?
Dass sich die Ergebnisse der Ö3-Jugendstudie auch in der Realität wiederfinden. 73 Prozent der 16- bis 25-Jährigen haben die Ehe bzw. Partnerschaft als Ziel und zwei Drittel wollen auf jeden Fall selbst Kinder haben.
Kurz gefragt:
Meine schönste Erinnerung an den Kindergarten: Das Martinsfest.
Mein Lieblingsbilderbuch war: Mit meinen Nichten und Neffen lese ich am liebsten Pettersson und Findus.
Wenn ich für meine Familie koche, gibt es: Wir helfen am liebsten zusammen – beim Grillen.
Sonntag bedeutet für mich: Zeit für die Familie.
Mein Kraftort: Das Mühlviertel.
Claudia Plakolm (30) ist ein Walding im Mühlviertel/ OÖ aufgewachsen und hat 2013 in Linz maturiert, zog 2017 als jüngste Abgeordnete für die ÖVP in den Nationalrat ein, 2021 wurde sie als Jugendstaatssekretärin angelobt, seit 3. März 2025 ist sie Bundesministerin für Europa, Integration und Familie.
Dieses Interview ist in der Mitgliederzeitung des Katholischen Familienverbandes "ehe und familien" im Juli 2025 erschienen.